Bayerische Telemedizinprojekte – Prävention –
Fit heute – Fit morgen

Hintergrund und Studienziel 

Adipositas, Bluthochdruck, Zucker- und Fettstoffwechsel-Störungen – diese Gesundheitsrisiken werden in Deutschland immer häufiger, von der Bevölkerung jedoch nach wie vor unterschätzt. Etwa die Hälfte der Übergewichtigen riskiert ihre körperliche Unversehrtheit und sogar ein vorzeitiges Ableben: Treten oben genannte Risikofaktoren im Verbund auf – als „tödliches Quartett“ oder „Metabolisches Syndrom“ – lassen sie die Wahrscheinlichkeit einer Diabeteserkrankung, eines Herzinfarktes oder eines Schlaganfalls je nach Studie bis zu sechsfach ansteigen (1). Schon lange gilt die „Apfelform“ des Übergewichts, also erhöhtes Fettgewebe im Bauchraum, als Herzkreislaufrisiko. Inzwischen sind auch die zugrunde liegenden körperlichen Vorgänge verstanden.
Botenstoffe aus den Fettzellen („Adipokine“) nehmen Einfluss auf verschiedene Körper- und Stoffwechselfunktionen und begründen so die assoziierten Stoffwechselstörungen und begünstigen Arteriosklerose sowie erhöhte Gerinnungsneigung. Das Robert-Koch-Institut beziffert aktuell den Anteil der bundesdeutschen Bevölkerung mit metabolischem Syndrom auf immerhin ca. 25% (2).

Dabei ist diese Risikokonstellation meist Folge eines ungünstigen Lebensstils und damit kein unabwendbares Schicksal, könnten seine schwerwiegenden Auswirkungen mit eigentlich einfachen Mitteln doch vermieden werden. Langjährige Präventionsstudien haben bewiesen, dass allein durch Lebensstiländerungen Diabetes- und Herzkreislauferkrankungen drastisch vermindert werden können (3, 4).

Da für das Vorliegen eines metabolischen Syndroms definitionsgemäß (5) noch keine manifesten Erkrankungen wie Hypertonie oder Diabetes mellitus vorliegen müssen, können Risikopersonen frühzeitig identifiziert werden, die noch nicht krank, aber stark gefährdet sind, es in 5 – 10 Jahren zu werden.
Schon eine moderate Gewichtsreduktion um 5 – 10% des Körpergewichts bessert nachweislich Blutdruck-, Zucker- und Fettwerte und senkt signifikant das Herzkreislaufrisiko (6). Doch Abnehmen ist leichter gesagt als getan. Die reine Aufforderung zu einer gesunden Lebensweise gilt als unzureichend, kurzfristige Diäten aufgrund des Jojo- Effekts als geradezu kontraproduktiv. Das auf 12 Monate angelegte Projekt „Fit heute – fit morgen“ sollte daher prüfen, ob Präventionsmaßnahmen mehr Effizienz haben, wenn sie durch eine telemetrische Unterstützung über einen längeren Zeitraum begleitet werden.

4sigma GmbH, Die Schwenninger Krankenkasse, Universität Magdeburg

Studiendesign
Am BMBF geförderten Pilotprojekt nahmen 184 Personen im Alter von 30 – 60 Jahren teil, die nach ärztlicher Eingangsuntersuchung die Kriterien eines metabolischen Syndroms aufwiesen, ohne bereits an Diabetes oder Herzkreislauferkrankungen zu leiden. Alle Teilnehmer wurden in einer 2stündigen Gruppenschulung vor Ort über die Grundlagen des metabolischen Syndroms und über geeignete Maßnahmen zur Gewichtsreduktion durch kaloriengerechte Ernährungsweise und ausreichend körperliche Aktivität informiert. Zusätzlich erhielten alle Teilnehmer eine Broschüre mit weiteren Informationen und praktischen Tipps.

Anschließend erfolgte per Losverfahren eine Zuordnung der Teilnehmer in drei Studienarme: Während Gruppe 1 (Standard) keine weiteren Maßnahmen erhielt, wurden die beiden Betreuungsgruppen 2 (Telefon) und 3 (Brief, entsprechend des ABC-Programms, Univ. Magdeburg (7)) mit einem Aktivitätssensor (Aipermotion 440) ausgestattet, der Bewegung, Kalorienverbrauch und Kalorienzufuhr telemetrisch an den zuständigen Berater übermittelte. Gruppe 2 wurde monatlich telefonisch durch einen festen, medizinisch ausgebildeten Ansprechpartner der 4sigma begleitet, Teilnehmer der Gruppe 3 wöchentlich durch schriftliche, von den Professoren Luley oder Westphal der Universität Magdeburg kommentierte Feedback-Briefe aus der Telemetrie-Plattform. Alle Teilnehmer (Gruppen 1-3) wurden ferner zu ärztlichen Folgeuntersuchungen nach 4, 8 und 12 Monaten eingeladen und erhielten ihre jeweiligen Befunde.

Telemetrie- Unterstützung zur Lebensstiländerung
Das in den Interventionsgruppen 2 und 3 eingesetzte technische Hilfsmittel, der dreidimensionale Beschleunigungssensor Aipermotion 440 der Firma Aipermon, berechnete aus dem täglichen Bewegungsmuster und zusätzlichen Eingaben wie Schwimmen, Radfahren oder Krafttraining den Energieverbrauch und glich diesen mit den eingegebenen Ernährungsdaten stets aktuell im Sinne einer Tagesbilanz ab. Diese gab dem Teilnehmer jeweils an, ob im Tagesverlauf noch ein Snack möglich bzw. zusätzliche Aktivität nötig war, um eine moderate negative Tagesbilanz zu erreichen. Sämtliche Angaben wurden webbasiert transferiert und standen den jeweiligen Beratern zum Telefoncoaching bzw. schriftlichen Feedback zur Verfügung.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Interventionsgruppen bestand – neben der Frequenz der Beraterrückmeldung und dem Medium der Beratung – darin, dass Teilnehmer der Gruppe 2 lediglich die Angaben auf dem Display des Sensors mit einer graphischen Auswertung der letzten Woche einsehen konnten, während Teilnehmern der Gruppe 3 über das wöchentliche schriftliche Feedback eine kontinuierliche Dokumentation aller eingegebenen und gemessenen Daten in graphischer Visualisierung zur Verfügung stand.

Abbruchraten
Erwartungsgemäß lag die Abbruchrate nach 12 Monaten in der Standardgruppe mit 35,5% doppelt so hoch wie in den Gruppen 2 („Telefon“; 17,2%) und 3 („Brief“; 18,3%). Verglichen mit anderen ähnlichen Untersuchungen gelang es jedoch, erfreulich viele Teilnehmer in den beiden Betreuungsgruppen 2 und 3 über die gesamte Dauer im Projekt zu halten).

Medizinische Effekte In einer „Intention to Treat“-Analyse konnte nachgewiesen werden, dass die telemetrische Begleitung verknüpft mit einem individuellen Feedbacksystem – ob telefonisch oder schriftlich – die Gewichtsreduktion signifikant unterstützen kann. Die Personen der Gruppe 1 mit Standardschulung hatten zwar nach 12 Monaten im Mittel immerhin auch 3,7% ihres Körpergewichts reduziert. Die telemetrisch betreuten Teilnehmer erzielten jedoch mit einem relativen Gewichtsverlust von 8,6% (Telefon) und 11,4% (Brief, entprechend ABC-Programm (7)) signifikant bessere Erfolge und konnten damit die für die präventive Wirkung geforderte 5 – 10% Reduktion erreichen.

Signifikante Unterschiede zwischen den Interventionsgruppen 2 und 3 und der Standardgruppe 1 ergaben sich auch hinsichtlich des mittleren systolischen Blutdrucks. Hier lag die von medizinischem Fachpersonal telefonisch betreute Gruppe mit einer Senkung um 12,4 mm Hg vorne, gefolgt von der „Brief“- Gruppe mit -11,0 mm Hg. Dieser Effekt dürfte darauf zurückzuführen sein, dass das schriftliche Feedbacksystem lediglich auf die Gewichtsreduktion ausgerichtet war, während im Telefoncoaching auch weitere Gesundheitsrisiken thematisiert wurden und eine zusätzliche Compliancesteigerung hinsichtlich der antihypertensiven Medikation erreicht wurde. Eine alleinige Standardschulung mit Folgeuntersuchungen bewirkte ebenfalls eine, wenn auch signifikant geringere Senkung des systolischen Blutdrucks um 5,8 mm Hg.

Abb: Prozentuale Gewichtsreduktion, Senkung des systolischen Blutdruckwertes und Entwicklung der Lebensqualität nach 12 Programmmonaten

Verschiedene Blutparameter, insbesondere die Insulinresistenz, gemessen am HOMA-Index und dem Langzeitblutzuckerwert HbA1c, wurde in den Interventionsgruppen signifikant verbessert. Die beschriebenen positiven Effekte auf den Stoffwechsel und das Gewicht lassen sich an aktuell publizierten vergleichbaren Studien (11, 12, 13) sehr gut messen, erfreulicherweise fallen sie sogar deutlich höher und stabiler aus.

Die Teilnehmer profitierten auch durch einen Zugewinn an Lebensfreude: Mittels des standardisierten WHO-5-Fragebogen zum allgemeinen Wohlbefinden ließ sich nachweisen, dass die Betreuungsmaßnahmen und die erreichten Erfolge die Lebensqualität der Teilnehmer deutlich steigern konnten – in den Interventionsgruppen signifikant stärker als in der Standardgruppe.

Literatur

(1)Langenberg C et al. (2006) Cardiovascular death and the metabolic syndrome: role of adiposity-signalling hormones and inflammatory cytokines. Diabetes Care 29: 1363–1369

(2)Moebus S et al. (2008) Regional unterschiedliche Prävalenz des metabolischen Syndroms. Dtsch Ärztebl 105(12): 207-217

(3)Knowler WC, Barrett-Connor E, Fowler SE et al. (2002) Diabetes Prevention Program Research Group. Reduction in the incidence of type 2 diabetes with lifestyle intervention or metformin. N Engl J Med 346: 393–403

(4)Herder C, Peltonen M, Koenig W et al. (2006) Systemic immune mediators and lifestyle changes in the prevention of type 2 diabetes: results from the Finnish Diabetes Prevention Study. Diabetes 55: 2340–2346

(5)Zimmer P & Alberti G (2006) The IDF definition: why we need a global consensus. Diabetes Voice 51: 11-14

(6)Deprés, JP et al. (2001) Treatment of obesity: need to focus on high risk abdominally obese patients. BMJ 322:716-720

(7)Luley, Blaik, Westphal (2011) “Active Body Control”-Programm – Gewichtsreduktion durch Telemedizin. Deutsches Ärzteblatt PRAXiS, 3: 9-15

Dr. med. Gabriele Stumm & Ralf Pourie, 4sigma GmbH

BMBF, Verbundprojekt Lifescience.Biz, 01.12.2008 – 31.08.2012

Dr. med. Gabriele Stumm
Ärztliche Leiterin
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Ralf Pourie
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