Bayerische Telemedizinprojekte – Prävention –
Telemedizinische Live-Betreuung von Parkinsonpatienten

1. Allgemeine Überlegungen
Parkinsonpatienten im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung neigen auf Grund des Krankheitsverlaufes zu heftigen Fluktuationen. Die Bewegungsschwankungen äußern sich entweder in Off-Phasen mit deutlicher Unterbeweglichkeit bzw. in hyperkinetischen On-Phasen mit überschießenden Bewegungen. Dieses Krankheitsstadium ist für die Patienten besonders beeinträchtigend und stellt für den Arzt eine große Herausforderung dar, da hier eine engmaschige Betreuung des Patienten mit einer engmaschigen Medikamentengabe erforderlich ist. In der Regel ist dann eine längerfristige akut-stationäre Betreuung der Patienten unumgänglich. Dies löst aber die medizinische Problematik nur teilweise, da die Bewegungsschwankungen auch nach der Entlassung anhalten bzw. in der dann veränderten häuslichen Umgebung in unterschiedlichster Form auftreten können. Eine ambulante Betreuung dieser Patienten erweist sich als äußerst schwierig, da die oben beschriebenen Bewegungsschwankungen sich innerhalb kürzester Zeit (teilweise innerhalb von Minuten) ändern können und unvorhersehbare Ausmaße annehmen können. Die Beurteilung dieser Bewegungsstörung ist daher in der Praxisambulanz kaum möglich, da dem Arzt nur wenige Minuten zur Beobachtung des Patienten zur Verfügung stehen.
Die Konsequenz daraus bedeutet eine oft schlechte medikamentöse Einstellung des Patienten und eine erhebliche Verunsicherung mit dem Gefühl der vernachlässigten Betreuung mit häufi gen stationären und ambulanten Arztterminen.

2. Theoretische Lösungsüberlegungen

Eine optimale Betreuung dieser Patienten wäre, diese auch in der häuslichen Umgebung jederzeit beobachten zu können, ein entsprechendes motorisches Bewegungsprofi l zu erstellen und unmittelbar in die Therapie eingreifen zu können. Schon vor mehreren Jahren wurde der Versuch unternommen, eine videodokumentierte Heimbetreuung dieser Patienten zu erreichen. Allerdings ergab sich hieraus auf Grund eingeschränkter technischer Möglichkeiten eine relativ ungenügende Betreuung dieser Patienten. Die Patienten waren in der Lage, mit einem speziell konfi gurierten Videorekorder das Bewegungsproblem zu Hause aufzunehmen und es via Internet am nächsten Tag dem behandelnden Arzt zur Beurteilung vorzulegen.
Ein Behandlungsvertrag mit den Kostenträgern sah vor, dass diese Möglichkeit für 4 Wochen von den Kassen fi nanziell unterstützt wurde. Insgesamt hat diese videodokumentierte Betreuung zwar einen gewissen technischen Fortschritt gebracht, hat aber letztendlich das bestehende Akutproblem der Patienten nicht gelöst und ist mittlerweile auch wieder eher in Vergessenheit geraten. Trotzdem war dies die Grundlage, darüber nachzudenken, ob nicht unter Optimierung der Technik auch eine optimalere Versorgung der Parkinsonpatienten möglich wäre. Als optimale Lösung wurde daher angedacht, die Patienten im Internet via Livestream direkt betreuen und damit auch behandeln zu können.

3. Theoretische Abläufe bezüglich der Umsetzung
Es wurden daher folgende Voraussetzungen für eine telemedizinische Livebetreuung der Patienten formuliert:
a) Ständige Erreichbarkeit des Arztes
b) Einfache Handhabung eines Laptops bzw. einer Videokamera für den Patienten
c) Gute Erkennung der Motorik und der feinen Bewegungsabläufe auf der einen Seite (durch optimale Aufl ösung des Arztlaptops) bzw. gute optische Erkennbarkeit des Arztes (Patientenlaptop)
d) Den vom Bayerischen Datenschutz geforderten Übermittlungsschutz
e) Reduktion der stationären Aufenthalte und der ambulanten Visiten bei diesen Patienten

4. Effekte und Kostendämpfung
1. Höhere Lebensqualität für Patienten: Sie erhalten das sichere Gefühl, im Krisenfall oder bei Veränderungen sofort und überall auf der Welt kompetente ärztliche Betreuung zu erhalten. Zudem beschränkt sich der Austausch nicht allein auf das Telefon oder auf mündliche Schilderungen Dritter. 2. Eine telemedizinische Versorgung von Parkinson-Patienten reduziert die Häufi gkeit der ambulanten und stationären Aufenthalte des Patienten. 3. Weitere Kosteneffekte entstehen durch die in vielen Fällen nicht mehr notwendigen Fahrten zur Klinik oder zum Arzt. 4. Im Akutfall ist eine schnelle Hilfe möglich. Neben dem Patienten selbst können auch Angehörige per Video angeleitet werden. Dies stellt vor allem für ältere Menschen eine wertvolle Unterstützung dar. 5. Engmaschige Begleitung: Der Arzt kann den Patienten nicht nur zu ganz unterschiedlichen Tageszeiten erleben. Er kann durch Aufzeichnungen auch eine Therapie-Historie und die gesundheitliche Entwicklung betrachten.

5. Umsetzung
Die Firma Silberstern wurde daher von uns beauftragt, einen Laptop bzw. eine Kamera zu konfi gurieren, die diesen Vorgaben entspricht. Das Vorhaben wurde dann wie folgt umgesetzt: Aktuell wird den Patienten ein sog. Patienten-Kit ausgegeben, bestehend aus einem Laptop sowie einer Kamera. Der Laptop ist so konfi guriert, dass per Knopfdruck eine Verbindung mit der Fachklinik Ichenhausen möglich ist und dann eine entsprechende Livestreamverbindung erfolgen kann. Der Laptop kann für keinerlei weitere Zwecke verwendet werden. Die Kamera hat ein Auflösungsvermögen, die einer Liveübertragung im Fernsehen entspricht und damit die erforderliche Qualität aufweist, um auch feinmotorische Bewegungsstörungen zu erkennen. Die Bedienung ist für den Patienten äußerst einfach. Es stehen drei Funktionen zur Verfügung:

1. Starten der Videoübertragung
2. Taste zur Benachrichtigung des betreuenden Arztes
3. Taste zum Beenden der Videoübertragung

Die Tasten der Tastatur sind in Tastenblöcken angeordnet, so dass zur Steuerung der Anwendung durch den Patienten keine Feinmotorik benötigt wird und diese auch mit der Faust oder der Handfl äche bedient werden kann. Das Arzt-Kit besteht ebenfalls aus einem speziell konfi gurierten Laptop, der anstatt einer hochauflösenden externen Kamera eine in den Laptop integrierte Kamera nutzt, um dem Patienten den begutachtenden Arzt darzustellen. Die Qualität der hierbei verwendeten Kamera ist völlig ausreichend, um dem Patienten die Identifi zierung des Arztes und eine videounterstützte Kommunikation zu ermöglichen.

6. Technische Darstellung
Das Patienten-Laptop und das Arzt-Laptop stellen eine verschlüsselte Verbindung zum Servernetzwerk her. Nach erfolgreicher Authentifi zierung und Autorisierung am Server wird auf den Laptops die Kommunikations-Software betriebsbereit gestartet. Durch Anforderung einer Sitzung (verbundene Videoübertragung) durch den Patienten und den Arzt wird eine Verbindung der Kommunikationsteilnehmer hergestellt und die Videoübertragung gestartet. Patient und Arzt sind in der Regel durch einen DSL-Internetanschluss miteinander verbunden. Eine weitere Möglichkeit besteht in UMTS-Verbindungen, die mittlerweile zumindest in der Umgebung von Großstätten oder Ballungszentren problemlos den benötigen Datenfl uss befördern können. Hervorzuheben ist, dass die benötigte Bandbreite zur Übertragung der Videodaten so gewählt wurde, dass ein flächendeckender Einsatz durch Verwendung von Standard-Internet-Verträgen ermöglicht wird.

• Fachklinik Ichenhausen
• Klinikgruppe Enzensberg

7. Aktuelle Umsetzung
Mittlerweile laufen die Internetverbindungen mit dem Patienten absolut stabil. In 3 Varianten ist der Livestream zur Zeit verfügbar.

a) Variante 1:
Patient hat den entsprechenden Laptop für zu Hause gekauft oder gemietet und tritt damit bei Bedarf mit der Fachklinik Ichenhausen in Verbindung.

b) Betreuung von Patienten mit Apomorphin und Duodopa-Pumpen und Hirnschrittmachern.
Eine spezielle Klientel bei schwer betroffenen Parkinsonpatienten stellen die o.g. drei Untergruppen dar. Dafür wurde in der Fachklinik auch entsprechendes Pflegepersonal ausgebildet, die die Patienten zu Hause betreuen und dort evtl. Umstellungen der Pumpen bzw. Kontrollen des Hirnschrittmachers nach Rücksprache vornehmen. Diese ambulanten Pflegekräfte sind ebenfalls mit einem Laptop ausgestattet und setzen diesen dann vor Ort ein, um mit dem Arzt in der Fachklinik Rücksprache zu nehmen.

c) UMTS-Verbindungen
In Großstätten und Ballungszentren werden die Patienten bei Bedarf – wie oben beschrieben – mit einer UMTS-Lizenz versorgt und somit direkt Kontakt mit der Fachklinik Ichenhausen aufnehmen. Von Vorteil ist die UMTS-Lizenz auch für den behandelnden Arzt, da dieser damit nicht an die Klinik gebunden ist, sondern jederzeit erreicht werden kann.

8. Aktueller Stand
Mittlerweile wurde bezüglich der telemedizinischen Betreuung für diese 50-köpfige Patientengruppe eine Studie durchgeführt. Diese erfolgte mit Unterstützung des StMUG (Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit), der Stiftung Neurologie sowie der Deutschen Parkinsonvereinigung. Zusätzlich stellte die AOK des Dienstleistungszentrums Augsburg eine anonymisierte, ebenfalls 50-köpfige Kontrollgruppe zur Verfügung. Hier werden über ein Jahr der Krankheitsverlauf sowie die Kosten ausgewertet. Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich der Zustand der betroffenen Patienten in der Telemedizingruppe teilweise verbessert bzw. deutlich stabilisiert hat. Dies ist auf die engmaschige Betreuung durch den Facharzt rund um die Uhr zurückzuführen. Auch die Patientenzufriedenheit, die anhand der PDQ 39 ausgewertet wurde, zeigt ein hohes Zufriedenheitspotential bei dieser Patientengruppe. Die Auswertung der wirtschaftlichen Daten liegt noch nicht vor. Auf Grund der Ergebnisse haben erste Kostenträger bereits die telemedizinische Betreuung schwer betroffener Parkinsonpatienten kostenpfl ichtig erstattet (Abrechnung erfolgt im ambulanten Bereich nach EBM).

9. Perspektiven
Eine medizinische Livebetreuung im häuslichen Bereich ist sicher nicht nur für Parkinsonpatienten von großem Nutzen. Dies gilt für viele Patientengruppen mit anderen chronischen Erkrankungen (z.B. Patienten nach Schlaganfall, Patienten mit Multipler Sklerose, Epilepsiepatienten etc.). Mit Verbesserung der Qualität des Internets bzw. mit Ausbau der UMTS-Qualität ist in 1-2 Jahren von einer vollständigen Betreuungsmöglichkeit in ganz Deutschland über UMTS auszugehen. Eine weitere Verbesserung stellt dann noch die Kombination von telemetrischen Daten (z.B. Blutdruck, Blutpuls, Blutzucker, Fluss der Apomorphin-oder Duodopapumpe) gepaart mit der Videoübertragung dar. Dies ist bereits jetzt technisch möglich. An einer entsprechenden Konfiguration der Hard- und Software wird aktuell gearbeitet.

 

Dr. med. Joachim Durner
Fachklinik Ichenhausen

Krumbacher Straße 45
89335 Ichenhausen
Telefon: 0 82 23 – 99 10 34
Email: joachim.durner@fachklinik-ichenhausen.de