Artikel von Christina Maria Peric, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Bayerische Telemedallianz

„Industrie 4.0“ ist ein Schlagwort, das für den digitalen Wandel und den damit einhergehenden Fortschritt steht. Doch was steckt dahinter und was hat das mit der Gesundheitsversorgung zu tun? Gemeint ist die vierte industrielle Revolution durch die nahtlose Verzahnung von Informations- und Kommunikationstechnologien mit Fertigung und Produktionssteuerung. Dies macht die industrielle Herstellung von ganz individuellen Produkten möglich. Der Weg von der Industrie bis hin zum Gesundheitswesen ist zugegebenermaßen recht weit. Jedoch kann das in der Fertigung Gelernte auf altbewährte Versorgungsprozesse der Medizin übertragen werden. Analog zu einem Produktionsweg in der Industrie 4.0 unterliegt der Behandlungsweg eines Patienten, abhängig von seiner Krankheit und Diagnose, einer grundsätzlichen individuellen Variabilität. Im Rahmen der Diagnostik und Therapie durch den Arzt, kann ein bestmöglicher Entschluss diesbezüglich durch Kommunikation mit divergierenden Akteuren und Systemen erreicht werden. Somit liegt in einer optimierten Verzahnung ein enormes Potential. Zwar ist das „Krankenhaus 4.0“ oder die „Pflege 4.0“, welche „die Digitalisierung und Vernetzung von Behandlungs- und Versorgungsprozessen mit Hilfe von cyberphysischen Systemen“ bedeutet, noch eine Zukunftsvision, dennoch bestehen bereits heute Informations- und Kommunikationstechnologien, welche vor allem eine intersektorale Kommunikation fördern.*

Die Digitalisierung und Technisierung in der Pflege wird vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft auf der einen Seite und dem Mangel an Fachkräften auf der anderen Seite als ein möglicher Lösungsansatz zur Verbesserung der Versorgungsqualität erachtet. Am 10. Mai 2018 sprach sich der 121. Deutsche Ärztetag in einer Neufassung des § 7 Absatz 4 der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte dafür aus, Telemedizin zu liberalisieren, damit der Kontakt zwischen Ärzten und Patienten künftig auch ausschließlich aus der Ferne erfolgen kann. Diese Entscheidung eröffnet nicht nur Chancen in Deutschland für die Patientenversorgung im Allgemeinen, sondern auch für die Telemedizin im Speziellen. Vor allem in ländlichen Regionen, die häufig medizinisch unterversorgt sind, kann die Telemedizin nützlich sein. Insbesondere älteren Patienten, die nur eingeschränkt mobil sind, kann durch den Einsatz von telemedizinischen Anwendungen, wie z.B. Videosprechstunden, so mancher Weg zum Arzt erspart bleiben, wenn Befunde und Beschwerden am Bildschirm abgeklärt werden können. Seit der Pflegereform im Jahre 2008 gilt das Motto „ambulant vor stationär“. Die Telemedizin kann dazu unterstützend beitragen, möglichst viele Pflegebedürftige in ihrem vertrauten Wohnraum hinreichend zu versorgen. So kann beispielsweise bei bettlägerigen Patienten der Einsatz von Videosprechstunden vorteilhaft sein, etwa bei einer Dekubitus-Diagnose; „Über ein Tablet zeigt mir die Pflegekraft die Druckstelle und ich stelle die Diagnose, das passiert in fünf Minuten. Das ist eine Erleichterung für den Arzt und für den Pfleger. Normalerweise dauert es ein paar Tage, bis der Arzt ins Altersheim kommt“, so Herr Prof. Dr. Siegfried Jedamzik, Hausarzt und zugleich Geschäftsführer der Bayerischen TelemedAllianz. Der Ingolstädter Hausarzt kommuniziert regelmäßig per Videosprechstunde mit Patienten und nutzt dafür eine neue Software. „Pflegeheimbewohner sind oftmals von neurologischen Krankheiten betroffen. Im Falle von Parkinsonpatienten kann ich über den Bildschirm als Arzt nachprüfen, ob sich die Gangart des Patienten verschlechtert hat und therapeutische Maßnahmen einleiten“, so Jedamzik. Fakt ist, dass sich der persönliche Kontakt zum Arzt aber niemals ersetzen lasse. Zumal die Pflegetätigkeit für Fürsorge und menschliche Zuwendung steht und im Krankheitsfall wichtig und heilsam ist. Eine Vielzahl telemedizinischer Angebote, die durchaus dem Wohl des Patienten beitragen können, wurden und werden durch das bisherige Fernbehandlungsverbot nicht realisiert. Zudem erschwert die Regelung die Aufnahme telemedizinischer Leistungen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen und damit die Weiterentwicklung der Telemedizin. Zwar sind auf dem Weg zur Pflege 4.0 noch viele Hürden zu bewältigen, sich dem digitalen Wandel zu entziehen, ohne den Anschluss zu verlieren, ist jedoch nicht mehr möglich.

* Vgl.
http://www.iml.fraunhofer.de/de/abteilungen/b3/health_care_logistics/krankenhaus-4- 0-positionspaper.html